„Man versenke sich einmal im Leben des Geringsten“ - Deutschkurse von Sankt Ursula und GaR besuchen Büchners „Woyzeck“

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„Wenn man dem Schauspieler nach dem Theater Fragen stellen kann – heißt das etwa, da spielt nur einer?“ Gewisse Bedenken hatten die Schülerinnen und Schüler der Leistungs- und Basiskurse der Sankt-Ursula-Schulen und des Gymnasiums am Romäusring vor der Woyzeck-Aufführung durchaus, als sie am Mittwoch, 20. März Besuch bekamen vom Karlsruher Theater mobile Spiele.

Und ja, es war tatsächlich nur einer: Julian W. Koenig, Schauspieler und Theaterpädagoge, spielte in dieser Inzenierung von Thorsten Kreilos den Woyzeck – und dessen Geliebte Marie, den Tambourmajor, welcher zu seinem Nebenbuhler wird, sowie den Hauptmann und den Doktor, welche als Vertreter eines menschenverachtenden Aristokratismus mit dafür verantwortlich werden, dass Woyzeck, getrieben und entehrt, vom devoten Diener zum wahnsinnigen Mörder wird. Was nach einem nahezu unmöglichen Unterfangen klingt, wurde von Koenig derart überzeugend verkörpert, dass die Zuschauer schnell im Bann der Handlung standen und sich unwillkürlich „in das Leben des Geringsten versenkten“, wie Büchner es gefordert hatte.  

Das Setting erinnerte an einen Kriegsschauplatz: Mitten in der schönen und einladenden Aula der Sankt Ursula-Schulen stand ein Käfig voller blutig wirkender Lumpen. Aus dem tarnfarbenen Material förderte Woyzeck immer neue Requisiten zutage. Große und kleine Marionetten, die wie Untote wirkten, Heiligenbilder, Bücher und Erbsen, immer wieder Erbsen. Denn Woyzeck isst ja seit drei Monaten nur Erbsen, da er an einem Experiment des Doktors teilnimmt, um seine kleine Familie einigermaßen finanziell über Wasser zu halten.

Die Inszenierung vermittelte intensiv das Gefühl des Gefangenseins in den eigenen Gedanken und Wahnvorstellungen, die Woyzeck mehr und mehr plagen. Die Geschichte wird im Rückblick erzählt: Die Tat ist bereits geschehen, Woyzeck befindet sich in einer isolierten, aus Lumpen zusammengebastelten Welt, in der er seinen Weg zum Mörder zwanghaft immer wieder Revue passieren lässt. Woyzeck alias Koenig lenkte die Marionetten, ahmte Stimmen nach und fand sich wieder und wieder erniedrigt am Boden, im Hintergrund im Lautsprecher die Frage: „Ist das ein Mensch, ein tierischer Mensch oder doch ein Vieh, eine Bête?“

Was Entwürdigung aus einem Menschen machen kann, der unter anderen Startvoraussetzungen vielleicht ein erfülltes Leben hätte führen können, wurde hier quälend sichtbar.

Im Anschluss hatten die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit nachzufragen, und Koenigs Antworten machten sie noch nachdenklicher. „Wahnsinn“, war der Kommentar einiger Schüler nach dieser Aufführung. Und damit war eigentlich alles gesagt.

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