Die Sieger des Schreibwettbewerbs stehen fest

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„Blau“ lautete das Thema des diesjährigen GaR-Schreibwettbewerbs. Blau – die Farbe von Meer, Sehnsucht und Innerlichkeit. Uns haben spannende Zuschriften erreicht und jetzt stehen die Gewinner fest: Johanna Kalla (K1), Eva Pricking (7c) und Carlotta Caspari (10f) überzeugten uns mit ihren spannenden und teils düsteren Geschichten.

Blau als Farbe der Sehnsucht, Wasser als Element der Anziehung und des Untergangs – wenn diese Themen auch euer Interesse wecken, dann wünschen wir auch euch viel Spaß beim Lesen! 

Johanna Kalla (K1)

Träume

Kälte umschloss mich wie eine zweite Haut. Erst nur die Zehen, dann kroch sie Zentimeter für Zentimeter an meinem Körper empor, bis ich schließlich gänzlich von ihr umschlossen war. Ich ließ mich davontreiben, in eine Gedankenwelt, in der alles schöner war als hier, zu Hause. Ich träumte von grünen Wiesen, gefleckt mit Wildblumen aller Formen und Farben, goldenen Getreidefeldern gesäumt mit blutrotem Klatschmohn und von einer Familie, die mich aufnehmen und lieben würde wie ihr eigenes Kind. Das Licht hinter meinen Augenlidern, anfänglich von hellem, rötlichem Schein, wechselte zu immer dunkleren Tönen. Dann war alles um mich herum schwarz.

Plötzlich wurde ich aus meinen Träumen gerissen. Ich kann nicht sagen, ob es der Dunkelheit oder der Angst wegen war, die mich mit einem Schlag überkam. Panik machte sich in meiner Brust breit, als ich merkte, wie mein Körper reflexartig einzuatmen versuchte - ohne Erfolg. Ich fing an, mit meinen Armen und Beinen um mich zu schlagen, aber ich traf wieder und wieder nur das kalte Nass um mich herum.

Ich schlug die Augen auf. Sofort wurde ich ruhiger. Meine Umgebung war keinesfalls schwarz, wie ich angenommen hatte. Vielmehr umgab mich ein in zahlreichen Nuancen schimmerndes Blau. An manchen Stellen schien es mit unterschiedlichen Grüntönen zu verschmelzen, sodass das Licht eher türkis war. An anderen wiederum war das Blau so klar,  als hätte ich einen riesigen Saphir vor Augen. Die Vielfalt und bezaubernde Schönheit der Farben lenkte mich einen Moment von der Atemnot ab, die auch durch meine heftigen Bewegungen nicht besser geworden war. Schließlich war ich so weit beruhigt, dass ich wieder halbwegs klar denken konnte. Ich nahm ein letztes Mal alle meine Kräfte zusammen, in dem Wissen, dass ich keinen weiteren Versuch hätte, würde ich es diesmal nicht an die Atemluft verheißende Oberfläche schaffen.

Erneut begann ich, mit meinen Armen und Beinen zu strampeln, diesmal jedoch gezielt, sodass ich mich langsam der hellen Grenze zwischen Luft und Wasser näherte. Gerade als mich Schwindel und Bewusstlosigkeit zu übermannen drohten, durchstieß mein Kopf ebendiese Grenze. Ich rang gierig nach Sauerstoff, froh über jedes Molekül, das in meine Lungen strömte.

Ich ließ mich eine Weile auf dem Wasser treiben, bezaubert von seiner Vielzahl an Blautönen. Meine Gedanken drifteten wieder in die Traumwelt ab, die ich unter Wasser zu erkunden begonnen hatte. Die sanften Wellen, die mich ruhig hin und her wiegten, ließen mich endgültig entspannen - die Panik, die nur Augenblicke zuvor meinen Körper durchflutet hatte, verschwand. Abermals hielt ich meine Augen geschlossen. Da überkam mich eine Sehnsucht, ein unbändiges Verlangen nach einer realen Welt gleich meiner ausgedachten, die so friedlich und zugleich für mich unerreichbar war und bleiben würde.

Schließlich - die Sonne näherte sich dem rötlichgelben Horizont - da hatte ich meinen Entschluss gefasst. Ich holte ein letztes Mal tief Luft. Dann tauchte ich erneut Zentimeter für Zentimeter in das kühle Blau ein, bis ich gänzlich von ihm umgeben war. Ich zog die Knie fest an die Brust. Das Licht hinter meinen Lidern wechselte langsam von rötlich zu schwarz.

 

 

 

Eva Pricking (7c)

So blau wie das Meer

„Findest du nicht auch, dass das Meer so ist wie du?“, fragte ich. Rúna sah mich aus ihren tiefen, blauen Augen an und schüttelte den Kopf. „Na, das Meer ist so weit, mal stürmisch uns mal friedlich. Es hat unergründliche Tiefen, Geheimnisse, manche gut, manche schlecht. Es kann ein Zuhause, ein treuer Freund, sein und gleichzeitig der schlimmste Feind. Alles genau wie du.“

Immer noch sah sie mich zweifelnd an, die blonden Haare vom Wind durcheinander gewirbelt.

Ich lachte und meinte: „Siehst du, sogar deine Haare wehen im Wind, als wären sie Wellen auf dem Meer.“ Nun musste auch sie lachen. „Weißt du, Linnea, ich habe, ehrlich gesagt, schon immer eine Verbindung zum Meer gespürt. Jedes Mal wenn ich hinausschaue, in die blauen Fluten, da bekomme ich eine... Sehnsucht nach dem Meer. Ich möchte das Wasser berühren, die Fische sehen, mit den Walen spielen. Ich bekomme einen Drang nach der Freiheit.“ Rúnas Augen schweiften über die Wellen, die „blauen Fluten“, und ein leichtes Lächeln umschwebte ihre Mundwinkel. Es war ein fröhliches Lächeln, hatte aber einen Anteil an Traurigkeit. Dieses Lächeln hatte ich schon oft gesehen. Fast jeden Tag, seit sie in mein Leben gekommen war.

Alles begann an einem nebelverhangenen Morgen. Die Männer waren mit Jarl Ragnar, unserem Anführer, auf der See um zu Fischen und ich lief an den Klippen entlang, nach unserem Schiff Ausschau haltend. Dann sah ich etwas im Wasser treiben. Ich weiß nicht warum ich es sehen konnte, schließlich war der Nebel an diesem Tag sehr stark und man konnte noch nicht einmal in zwei Meter Entfernung alle Einzelheiten gut erkennen, aber ich sah es. Schnell lief ich den Felsweg, den unsere Ahnen in den Felsen geschlagen hatten, hinunter zum Meer. Dort war ein kleiner Kiesstrand. Ich watete ins Wasser und versuchte zu vermeiden, dass mein Kleid nass wurde, und ging auf dieses Etwas zu. Als ich näher herankam – mein Kleid war inzwischen vollkommen genässt und ich hatte schon mindestens fünfmal Salzwasser in die Nase bekommen – sah ich dass das Etwas eine Holzplanke war. Und auf der Planke lag ein Mädchen. Es schlief, oder war bewusstlos – oder tot – deshalb schwamm ich das letzte Stück zur Planke. Mein Vater hatte mir Schwimmen beigebracht, aber es war nicht einfach, die Planke mit dem Mädchen ans Ufer zu schleppen, und immer wieder wurde ich von meiner nassen Kleidung unter Wasser gezogen. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, vermutlich hatte Njörd, unser Gott der Schiffe mir geholfen, aber ich habe es geschafft, uns sicher an Land zu bringen. Dort versuchte ich das Mädchen aufzuwecken, rüttelte es, doch es rührte sich nicht. Aber wenigstens atmete sie. Schließlich legte ich mich neben sie, damit meine Kleidung im Wind – und in der Sonne, falls die hinter den Wolken die Frigg, die Frau Odins, mit ihren Dienerinnen webte, hervorkommen sollte – trocknen konnte, und da ich so müde war, schlief ich ein.

„Linnea!“ Die Stimme meiner Mutter weckte mich. Sie kam den Felsweg hinuntergelaufen und fragte: „Was ist passiert? Wieso bist du hier unten? Wo warst du? Was machst du da? Geht es dir gut? Wieso bist du einfach weggegangen? Hast du das Schiff mit den Männern gesehen? Was hast du gemacht?“ Langsam rappelte ich mich auf und meine Mutter umarmte mich, ließ mich aber gleich wieder los. „Und wieso bist du nass? Du bist doch nicht etwa ins Wasser gefallen? Komm nach Hause, um dich aufzuwärmen!“ Ich lachte leise, das war meine Mutter.

Kurze Zeit später brachte sie mich in unser Wikingerdorf und dort kuschelte ich mich in eine warme Decke und schlief wieder ein. Ich hatte meiner Mutter die Geschichte erzählt, doch ich glaube, sie glaubte mir nicht. Das Mädchen war auch nicht da gewesen, aber ich hatte die Holzplanke untersucht. Naudhiz, die Rune, die wir Wikinger mit Njörd verbinden, und Schalen, die wir mit Saga verbinden, da sie aus Ihnen mit Odin die Weisheit trinkt, hinein geschnitzt. Was das wohl mit dem Mädchen zu tun hatte?

Wenig später kamen die Männer wieder zurück. Sie waren von Jarl Gunnar, dem Anführer des Nachbardorfs, angegriffen worden. Das Schiff wurde stark beschädigt, sie hatten es aber rechtzeitig in die Bucht an unserem Dorf geschafft und keinem war etwas passiert. Mein Vater, der Schiffsbauer war, hatte sich das Schiff angeschaut und schließlich hatte er beschlossen, dass das Schiff nicht mehr zu retten war und hatte angefangen, ein neues zu bauen.

Ich hatte sie seit diesem Tag nicht mehr gesehen und erklärte mir das mit der Erklärung: Ich habe mir das nur eingebildet, und versuchte das Mädchen zu vergessen. Das half nicht viel, denn schließlich war da ja immer noch die Holzplanke. Allerdings hätte die auch einfach angeschwemmt worden sein können.

Doch eines Tages sollte ich zu Alva unserer Völva in den Wald gehen. Eine Völva war bei uns Wikingern so etwas wie eine Seherin. Ich sollte Heilmittel holen, da meine Mutter sehr krank war. Und dann war sie da, einfach da. Sie stand hinter einem Baum und sah mich an. Dann kam sie hervor und sagte: „Ich bin Rúna. Bringst du mich bitte in dein Dorf?“ Ich erwachte aus meiner anfänglichen Schockstarre und antwortete: „Hallo, ich bin Linnea. Ich muss noch zu Alva, unserer Völva, meine Mutter ist krank.“ Sie nickte und dann machten wir uns auf den Weg zu der Lichtung auf der Alva lebte. Rúna wartete am Rand der Lichtung, aber ich trat auf die alte Frau zu. „Alva, unsere Völva, ich bin gekommen um Heilkräuter zu holen. Meine Mutter hat starkes Fieber.“ Alva drückte mir ein Büschel Kräuter in die Hand und als sich unsere Hände berührten erstarrte sie. Ihre Augen schienen etwas in weiter Ferne und einfach durch mich durch zu sehen. Ich fühlte mich unbehaglich zog meine Hand jedoch nicht weg. Schließlich kam sie wieder zurück und sprach mit rauchiger Stimme: „Ich habe Blau gesehen, Blau. Du bist zu etwas Größerem bestimmt. Blau!“ Dann drehte sie sich um und wandte sich einem Kräuterhaufen zu. Dann gingen Rúna und ich zum Dorf. Ich brachte die Kräuter meiner Mutter und Rúna wartete am Rande des Dorfes. Mutter ging es wirklich schlecht und ich betete rasch zu Eir, der Heilgöttin. Schließlich ging ich zurück zu Rúna.

„Und, wie geht es deiner Mutter?“, fragte sie. „Nicht sehr gut. Hoffentlich helfen die Kräuter.“ „Möge Eir ihr gnädig sein.“ Dann verschwand sie im Wald. „Rúna?“, rief ich ihr hinterher.

Diesmal verschwand sie nicht ein paar Tage, sondern nur ein paar Stunden. Die Zeit verbrachte ich bei Mutter, der es zum Glück mit jeder Stunde besser ging. Ich ahnte nicht warum.

Am Abend versammelten wir uns auf dem Thing, einem Platz, auf dem Recht gesprochen wurde. Einar und Ivar, zwei Dorfbewohner, stritten sich um ein Huhn. Beide behaupteten, der Andere habe es ihm gestohlen. Mitten in der Rechtsprechung stand sie dann plötzlich da. Zuerst bemerkte sie keiner, doch dann rief Freydis: „Wer bist du?“ Alle drehten sich zu unserer Dorfältesten um und sahen sie auch. „Rúna!“, rief ich überrascht.

Von da an blieb sie bei uns im Dorf. Die Meinungen über sie waren unterschiedlich. Thorstein, ein fünfzehnjähriger Junge hatte sich gleich am ersten Tag mit ihr geprügelt und war noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Rúna und er waren Erzfeinde geworden und nicht selten trug er die Folgen davon. Die älteren Dorfbewohner, wie Freydis und Ari mochten sie gerne, da Rúna sehr fromm war und die Geschichten über die Götter gut erzählen konnte. Auch Jarl Ragnar mochte sie und sie half ihm manchmal bei Entscheidungen. Rúna und ich freundeten uns schnell an. Wir machten unsere Aufgaben zusammen, saßen oft an den Klippen und dichteten. Dichten war meine liebste Freizeitbeschäftigung. Mein Lieblingsgedicht hatten Rúna und ich gemeinsam gedichtet. Wir hatten, wie so oft, auf der Klippe gesessen und dann habe ich gesagt: „Blau“ Rúna hat fortgesetzt: „Das Meer“ „Es ist hier“ „Ob Freund oder Feind“ „Unendlich“ Es wurde ein Elfchen.

Schnell hatte ich ein so großes Vertrauen in sie aufgebaut, dass ich ihr alle meine Geheimnisse erzählte. Doch sie hatte dieses Vertrauen nicht in mich. Ich wusste, dass sie Geheimnisse hatte, vor mir und dem restlichen Dorf, denn jedes Mal, wenn wir auf ihre Herkunft, ihre Familie oder den Tag an dem ich sie gerettet hatte zu sprechen kamen, murmelte sie etwas von „Gedächtnis verloren“, doch ich wusste, dass sie die Antworten auf unsere Fragen kannte. Aber es machte mir nicht viel aus, da jeder Geheimnisse haben durfte, dennoch war ich traurig, dass sie kein so großes Vertrauen in mich hatte.

Auch verschwand sie jedes Mal wenn jemand im Dorf krank war im Wald und kam am Abend wieder zurück und jedes Mal wurde der Kranke wieder gesund. Obwohl den Kranken durch ihre Abwesenheit irgendwie geholfen wurde, starben Ari und Freydis in diesem halben Jahr und sogar Jarl Ragnar ging von uns. Er starb in einer Schlacht gegen das Nachbardorf und die Walküren brachten ihn nach Walhalla, dass er dort auf Ragnarök, die Götterdämmerung, warte um den Göttern beizustehen.

Jedes Mal, wenn wir zu den Klippen gingen, sah sie auf das Meer hinaus und lächelte dieses Lächeln, mit Fröhlichkeit, aber auch Trauer und Sehnsucht. Mit der Zeit sind mir Ähnlichkeiten zwischen ihr und dem Meer aufgefallen und heute habe ich sie ausgesprochen. Es war Frühsommer, also war das Meer nicht zugefroren und gerade war kein hoher Wellengang. Das bedeutete, Rúna war gut drauf, oder zumindest nicht wütend. Auch das war mir aufgefallen. Wenn das Meer wütend war, war auch Rúna wütend und wenn das Meer friedlich war, war auch Rúna friedlich.

„Ich muss dir etwas sagen.“, sie sah mir in die Augen. Die blaue Farbe darin schien wie Wellen zu wabern. „Du weißt doch wer Njörd ist?“, fragte sie. „Natürlich! Er ist der Gott der Schiffe und des Windes.“, antwortete ich. Rúna nickte: „Ja, und ich bin eine Tochter des Njörd. Odins Raben Hugin und Munin haben ihm berichtet, dass Frey entführt wurde. Njörd hat mich daraufhin zu den Menschen geschickt, um eine geeignete Person zu finden, die ihn wieder befreien kann. Njörd hat keine Zeit, er muss zu Skadi, seiner Frau.“ Ich starrte Rúna geschockt an. Sie war die Tochter eines Gottes. „Wer ist deine Mutter?“, fragte ich, das war das Einzige, was mir einfiel. „Saga, die Göttin der Weisheit und Dichtkunst.“ Ich erinnerte mich an die Holzplanke mit den Zeichen des Njörd und denen der Saga. „Und als du immer in den Wald gegangen bist, als jemand im Dorf krank war…“ „...bin ich über Bifröst, die Regenbogenbrücke, nach Asgard, die Burg der Götter, gegangen und habe Eir gebeten den Kranken zu heilen. So war das auch bei deiner Mutter.“, beendete sie meinen Satz. „Und warum lagst du auf der Holzplanke?“, fragte ich. „Das war so eine Art erste Prüfung. Wer mich gerettet hatte, hatte bestanden, und das warst du. Danach bin ich nur weggegangen, weil meine Mutter mich gerufen hatte, und sie kann echt nachtragend sein, wenn man eine ihrer Einladungen ausschlägt.“

Erst jetzt verstand ich. „Frey ist entführt worden? Deshalb wächst nichts auf den Feldern. Er muss befreit werden. Ich war leichenblass. Rúna nickte: „Und du bist die, die ihn befreien muss.“ Ich wurde noch blasser. „Wir haben Hinweise. Er wurde von Hymir, einem Diener des Ägirs, des anderen Meeresgottes, in dessen Auftrag entführt und in seinen Palast auf dem Meeresboden gebracht. Keiner der Götter hat Zeit (manchmal sind sie echt faul) und deshalb muss ein Mensch Frey befreien. Und ich habe dich ausgewählt.“ Nun erinnerte ich mich an die Worte Alvas: „Du, als wir am Tag, als wir uns im Wald getroffen haben, da hatte Alva eine Vision oder so etwas. Sie hat gesagt, dass sie Blau gesehen hat und dass ich zu etwas Größerem bestimmt bin. Ich habe mich gefragt, was das bedeuten sollte, aber ich bin zu etwas Größerem bestimmt, dazu Frey zu befreien, und dass mit dem Blau, hat das was mit dem Meer zu tun?“ Meine Freundin nickte und meinte: „Ich vermute, Alva hat das Blau gesehen, weil du um Frey zu befreien, ja größtenteils im Meer sein musst und das Blau ist blau. Ach, mach dir keine Sorge wegen dem Meer, ich kann dafür sorgen, dass du nicht ertrinkst oder so. Die Vision von unserer Völva war schließlich das, was mich dazu brachte der Bitte der Götter zuzustimmen, aber Rúna meinte, ich müsse nicht sofort los und solle mir Zeit lassen, da das sehr viel Verantwortung wäre.

Wir saßen noch an den Klippen und dann sagte ich: „Ich habe letztens ein Gedicht geschrieben. Es geht um dich und das Meer. Möchtest du es hören?“ Rúna nickte. Ich holte tief Luft und begann:

 

„Du siehst hinaus, hinaus aufs Meer

ich frage mich, was denkst du bloß?

Ich weiß was du denkst, du denkst: Das Meer

es ist so blau, so weit, so groß.

 

Sieht aus wie gemalt, mit einem Pinsel

Die bauen Wellen, die weiße Gischt

Das Licht des Leuchtfeuers, auf der Insel

dass all das nur nie mehr erlischt.

 

Ich sehe die Sehnsucht in deinen Augen

der Wunsch nach Freiheit

du willst fliehen vor den Sorgen

frei sein, für alle Zeit.

 

Du willst tanzen mit den Fischen

willst fröhlich sein, Juni bis Mai

willst pfeilschnell durch das Wasser zischen

als wärest du der schnellste Hai.

 

Du willst spüren jede Welle

von jeder Strömung sein ein Teil

willst fühlen Langsame und Schnelle

verbunden durch ein blaues Seil.

 

Ein Seil aus Freundschaft

aus Trauer und Schmerz

ihr seid eine Mannschaft

Geschwister im Herz.

 

Und du tauchst in diese Tiefe

siehst was nie jemand gesehen

doch ich wünschte nur du ließest

mich mit dir hinunter gehen.

 

Nun schaust du hinaus

in die blauen Fluten

dort ist dein Zuhaus

so lässt sich vermuten.

 

Denn wenn du siehst in dieses Blau

ist Sehnsucht in deinem Blick

nach dem Meer, nach Nebelgrau

Sehnsucht nach Freiheit, Sehnsucht nach Glück.

 

Und ob heute oder morgen

du vermisst es sehr

und jedes Mal sind deine Augen

so blau wie das Meer.“

 

Sie sah mich gerührt und beeindruckt an. „Wow“, meinte sie. In diesem Moment bäumte sich das Meer auf. Es schäumte und wurde zu einer riesigen Welle. Ich hatte nicht mehr die Zeit zu schreien, da brach auch schon das Wasser über mir zusammen. Ich schlug um mich, versuchte an die Oberfläche zu gelangen, zu atmen, doch ich glaube Ran, die Göttin über alles Leben im Meer, die die Seelen der Ertrunkenen in ihrem Netz festhält, die Frau Ägirs, hatte mich in ihren Fängen. Sie zog mich hinunter in die Tiefe und ich konnte mich nicht dagegen wehren. Alles schien sich zu drehen und ich sah nur noch Blau. Nicht das helle Blau des Himmels, sondern das Dunkle des Ozeans. Meine einzige Hoffnung war Rúna. Ich versuchte etwas durch das Wasser zu erkennen, doch es war nichts zu sehen. Ich versuchte mich aus Rans Fängen zu befreien, doch die Meeresriesin war zu stark. Ich versuchte ruhig zu bleiben, doch ich konnte es nicht. Langsam begann sich alles um mich herum zu drehen. Mir war schwindelig, mein Kopf tat weh und ich brauchte Luft. Meine Lunge brannte, brauchte mehr Luft, und mein Herz raste, brauchte mehr Luft. Und dann wurde alles schwarz

 

Carlotta Caspari (10f)

BLAU

Sie saß an ihren Schreibtisch und malte. Sie malte Bäume und Berge und Blumen. Sie sah in ihrem Aquarellkasten nur eine Farbe, aber in verschiedenen Tönen. Blau. Blau war ihre Lieblingsfarbe, sie malte schon seit sie denken konnte nur mit blau. Es war die Farbe des Meeres, des Himmels, der Träume, der Freiheit, des Urlaubs. Mit blau konnte man alles ausdrücken, so fand sie, nur in noch schöner. Blau kam einerseits so oft in der Natur vor, andererseits so selten, für eine so schöne Farbe. Sie starrte also in ihrem Malkasten und überlegte, mit welchem Ton sie ihr neues Bild beginnen würde. Tiefsee dunkles Indigo? Das grünwirkende Petrolblau? Oder das typische Kobaltblau? Bevor sie sich entscheiden konnte, kam ihre Mutter ins Zimmer herein und klappte den, mit kunterbunten Farben gefüllten Kasten zu und sagte, „Beeil dich, du weißt, wir müssen noch zum Augenarzt.“ Es war nicht so, dass sie nicht wusste, dass die Farben nicht wirklich blau waren, doch solange sie ihre Werke nur in blau sah, war es ihr egal. Sie lebte in ihrer schönen, blauen Welt.

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